Die offene Verfassung. Das Grundgesetz in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nach 75 Jahren
Subtitle
[Tagungsbericht]
Publication date
2024-04-25
Document type
Sonstige Konferenzveröffentlichung
Author
Organisational unit
ISSN
Conference
Die offene Verfassung. Das Grundgesetz in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nach 75 Jahren, Hamburg, Deutschland, 14.03.2024 - 15.03.2024
Series or journal
H-Soz-Kult
Part of the university bibliography
✅
Keyword
Grundgesetz
Verfassung
Bundesrepublik Deutschland
Abstract
Das 75-jährige Jubiläum des Grundgesetzes wird gegenwärtig mit zahlreichen Feiern begangen. Während staatliche Festakte und politische Bildungsveranstaltungen dabei vor allem eine Erfolgsgeschichte würdigen und die deutsche Verfassung zum Garanten für die politische Stabilität der Bundesrepublik erheben, interessiert sich die historische Forschung eher für die Kontingenz und Offenheit der Entwicklung. Eine Reihe jüngerer Forschungsarbeiten, die sich mit Beständigkeit und Wandel der bundesdeutschen Verfassungsordnung aus rechtshistorischer Perspektive befassten, wurden bei einem Workshop an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg vorgestellt. Wie MARCUS M. PAYK (Hamburg) in seiner Einleitung betonte, stellt die Auseinandersetzung mit dem Grundgesetz immer noch eine Leerstelle in der deutschen Geschichtswissenschaft dar. Nicht die Normativität, sondern die Historizität der deutschen Verfassung sollte daher im Fokus des Workshops stehen. Das Plädoyer für eine konsequente Historisierung des Grundgesetzes unterstrich auch FRIEDER GÜNTHER (München/Berlin). Im Sinne des Workshopthemas der „offenen Verfassung“ hob er zu Beginn hervor, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung zum Grundgesetz keineswegs vorgezeichnet oder in einzelnen Entscheidungen zwingend gewesen sei, sondern in ihrem Resultat vielmehr von einer Vielzahl gesellschaftspolitischer Faktoren wie Aushandlungs- und Entscheidungsprozessen abhängig gewesen wäre. MEIK WOYKE (Hamburg) schlug hiernach einen Bogen zum Spannungsverhältnis von Verfassungswirklichkeit und Verfassungsanspruch. Bundeskanzler Helmut Schmidt habe anlässlich des 30. Verfassungsjubiläums im Jahr 1979 festgestellt, dass das Grundgesetz lediglich Fundament und Gerüst sei. Es ermögliche „Selbstverwirklichung in Freiheit“, könne aber Glück nicht garantieren. Mit dem Grundgesetz habe die Demokratie in Deutschland zwar Wurzeln schlagen können, so Woyke, jedoch erfordere eine lebendige Demokratie immer auch Streit und den Willen zu Kompromiss und Anpassung.
In seinen Schlussbemerkungen resümierte MARCUS M. PAYK, dass die Offenheit des Grundgesetzes durch die Verfassungsgeber bewusst angelegt worden sei, weshalb sich die Verfassung als hinreichend flexibel und integrationsstark erwiesen habe, um auch unerwarteten politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung zu tragen. Zugleich schlug er vor, auch gegenläufige Tendenzen der Schließung und Einengung verfassungsrechtlicher Optionen, etwa durch eine sich immer weiter verfeinernde Rechtsprechung oder durch die fortschreitende Konstitutionalisierung der Rechtsordnung, nicht aus dem Blick zu verlieren. Eine solche normative Verdichtung bilde gewissermaßen ein Gegenstück zur „offenen Verfassung“. Daneben betonte Payk die Notwendigkeit, historische Fragen zum Grundgesetz nicht allein im Rahmen einer Verfassungsgeschichte zu bearbeiten, sondern die Bedeutung verfassungsrechtlicher Bezüge etwa in einer Gesellschafts-, Wirtschafts- oder Kulturgeschichte stärker als bisher herauszuarbeiten. Insgesamt belegte der Workshop eindrucksvoll, wie produktiv der Austausch von Juristen und Historikern ausfallen kann. Dass gleichzeitig zahlreiche Themenfelder unterbelichtet bleiben mussten, darunter etwa die popkulturelle Aneignung des Grundgesetzes oder seine internationale Rezeption, spiegelt eine in Teilen disparate und heterogene Forschungslandschaft wider. Der Workshop regte gleichwohl dazu an, sich der Geschichte des Grundgesetzes stärker als bisher auf interdisziplinäre Weise anzunähern.
In seinen Schlussbemerkungen resümierte MARCUS M. PAYK, dass die Offenheit des Grundgesetzes durch die Verfassungsgeber bewusst angelegt worden sei, weshalb sich die Verfassung als hinreichend flexibel und integrationsstark erwiesen habe, um auch unerwarteten politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung zu tragen. Zugleich schlug er vor, auch gegenläufige Tendenzen der Schließung und Einengung verfassungsrechtlicher Optionen, etwa durch eine sich immer weiter verfeinernde Rechtsprechung oder durch die fortschreitende Konstitutionalisierung der Rechtsordnung, nicht aus dem Blick zu verlieren. Eine solche normative Verdichtung bilde gewissermaßen ein Gegenstück zur „offenen Verfassung“. Daneben betonte Payk die Notwendigkeit, historische Fragen zum Grundgesetz nicht allein im Rahmen einer Verfassungsgeschichte zu bearbeiten, sondern die Bedeutung verfassungsrechtlicher Bezüge etwa in einer Gesellschafts-, Wirtschafts- oder Kulturgeschichte stärker als bisher herauszuarbeiten. Insgesamt belegte der Workshop eindrucksvoll, wie produktiv der Austausch von Juristen und Historikern ausfallen kann. Dass gleichzeitig zahlreiche Themenfelder unterbelichtet bleiben mussten, darunter etwa die popkulturelle Aneignung des Grundgesetzes oder seine internationale Rezeption, spiegelt eine in Teilen disparate und heterogene Forschungslandschaft wider. Der Workshop regte gleichwohl dazu an, sich der Geschichte des Grundgesetzes stärker als bisher auf interdisziplinäre Weise anzunähern.
Konferenzübersicht
Panel 1: Das Verständnis des Verfassungsgebers im historischen Wandel
- Mathias Hong (Kehl): Rassismus und Gleichheitsideal im Parlamentarischen Rat: Die Entstehung von Artikel 1 GG nach 75 Jahren
- Michael von Landenberg-Roberg (Berlin): Entwicklungsoffene Grundrechtsinterpretation als Spiegel gesellschaftlichen Wandels. Zur Geschichte des Elterngrundrechts in der Bundesrepublik
- Jan H. Wille (Hamburg): Patchwork im Religionsverfassungsrecht. Die Kirchen, ihre Verträge und das Grundgesetz
- Frieder Günther (München/Berlin): Kommentar
Panel 2: Internationale Bezüge und Rahmungen
- Jan Stöckmann (Berlin): Kollektive Sicherheit im Grundgesetz: Spielformen staatlicher Souveränität und internationaler Ordnung, 1945–1955
- Vanessa Conze (Eichstätt-Ingolstadt): „Keine Eingriffe in die Identität der Verfassung“. Zur Diskussion um das Verhältnis zwischen Grundgesetz und Europarecht
- Marcus M. Payk (Hamburg): Kommentar
Panel 3: Grundgesetz und Gerichtsbarkeit
- Eva Balz (München/Berlin): Blick in die Blackbox. Die Wahl der ersten Richter am Bundesverfassungsgericht
- Jan-Henrik Herchenröder (Berlin): „Gespürt, dass es um die Institution geht“. Das Bundesverfassungsgericht im Kampf um den Wehrbeitrag
- Nils Bennemann (Duisburg-Essen): Gehört werden. Das Bundesverfassungsgericht und der Zugang zum Recht in den 1950er- und 1960er-Jahren
- Michael Reichenthaler (Regensburg): Das Grundgesetz und die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Eine historische Untersuchung an der Konfliktlinie zwischen Macht und Rechtsstaat [entfiel aufgrund technischer Probleme]
- Samuel Miner (München/Berlin): Kommentar
Panel 4: Ein Provisorium auf Dauer?
- Sebastian Gehrig (Sheffield): Das Grundgesetz und die deutsche Frage: vom staatrechtlichen Provisorium zur normativen Verfassung
- Iris Johanna Bauer (Berlin): „…keine brauchbare Diskussionsgrundlage“? – Lehren aus der SED-Diktatur und Impulse aus der Friedlichen Revolution in der Verfassungsdebatte des Deutschen Bundestags (1990–1994)
- Philipp Gassert (Mannheim): Kommentar
Panel 1: Das Verständnis des Verfassungsgebers im historischen Wandel
- Mathias Hong (Kehl): Rassismus und Gleichheitsideal im Parlamentarischen Rat: Die Entstehung von Artikel 1 GG nach 75 Jahren
- Michael von Landenberg-Roberg (Berlin): Entwicklungsoffene Grundrechtsinterpretation als Spiegel gesellschaftlichen Wandels. Zur Geschichte des Elterngrundrechts in der Bundesrepublik
- Jan H. Wille (Hamburg): Patchwork im Religionsverfassungsrecht. Die Kirchen, ihre Verträge und das Grundgesetz
- Frieder Günther (München/Berlin): Kommentar
Panel 2: Internationale Bezüge und Rahmungen
- Jan Stöckmann (Berlin): Kollektive Sicherheit im Grundgesetz: Spielformen staatlicher Souveränität und internationaler Ordnung, 1945–1955
- Vanessa Conze (Eichstätt-Ingolstadt): „Keine Eingriffe in die Identität der Verfassung“. Zur Diskussion um das Verhältnis zwischen Grundgesetz und Europarecht
- Marcus M. Payk (Hamburg): Kommentar
Panel 3: Grundgesetz und Gerichtsbarkeit
- Eva Balz (München/Berlin): Blick in die Blackbox. Die Wahl der ersten Richter am Bundesverfassungsgericht
- Jan-Henrik Herchenröder (Berlin): „Gespürt, dass es um die Institution geht“. Das Bundesverfassungsgericht im Kampf um den Wehrbeitrag
- Nils Bennemann (Duisburg-Essen): Gehört werden. Das Bundesverfassungsgericht und der Zugang zum Recht in den 1950er- und 1960er-Jahren
- Michael Reichenthaler (Regensburg): Das Grundgesetz und die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Eine historische Untersuchung an der Konfliktlinie zwischen Macht und Rechtsstaat [entfiel aufgrund technischer Probleme]
- Samuel Miner (München/Berlin): Kommentar
Panel 4: Ein Provisorium auf Dauer?
- Sebastian Gehrig (Sheffield): Das Grundgesetz und die deutsche Frage: vom staatrechtlichen Provisorium zur normativen Verfassung
- Iris Johanna Bauer (Berlin): „…keine brauchbare Diskussionsgrundlage“? – Lehren aus der SED-Diktatur und Impulse aus der Friedlichen Revolution in der Verfassungsdebatte des Deutschen Bundestags (1990–1994)
- Philipp Gassert (Mannheim): Kommentar
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