Geis, Anna

This forum proposes a practice-oriented approach to (de)legitimation processes in world politics. Drawing on international practice theory and visual IR, among other fields, our approach offers an important extension of existing literature on (de)legitimation that mostly concentrates on discursive (de)legitimation. Instead, this forum focuses on a broader variety of practices of (de)legitimation, such as bodily gestures and visual (de)legitimation practices, including as communicated via (social) media. The forum’s six contributions demonstrate the significance and conceptual promise of our approach by showcasing various conceptual entry points and empirical illustrations. Matthias Ecker-Ehrhardt analyzes the everyday legitimation practices of international organization officials acting as the “personal face” of institutional processes on social media. Anna Geis examines the Taliban’s symbolic and embodied practices of self-legitimation during the Doha negotiations with the United States in 2019–2020. Subsequently, Stanislav Budnitsky conceptualizes the reoccurring practice of verbally and physically assaulting foreign experts on Russian televised political talk shows as embodied legitimation practices of Russia’s anti-Western geopolitical agenda. David Shim and Laurenz Krumbacher draw attention to the everyday, visualized legitimation practices of climate activists on TikTok, emphasizing their performative dimension. Frank Gadinger turns to Volodymyr Zelenskyy’s social media-oriented public performances in parliaments around the world. Nora Stappert and Siddharth Tripathi conclude the forum with a discussion of limitations, remaining challenges, and future research avenues, including using decolonial and postcolonial approaches. Combined, our forum opens an avenue for future research that considers existing and new forms of (de)legitimation in global affairs through the lens of practice while emphasizing the crucial role of legitimacy and normativity in international practices.

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat auch die Internationalen Beziehungen (IB) herausgefordert. Vertreter*innen dieser Teildisziplin sind gefragte Gesprächspartner*innen für Politik und Medien. Kernkonzepte der IB wie Konfliktreife, Eskalationsdominanz oder Machtgleichgewicht sind populär geworden. Der Krieg berührt allerdings auch Theoriedebatten und Sortierungen innerhalb der Teildisziplin, wie z.B. die Trennung von Sicherheit und Frieden, oder eine – vermeintliche? – Renaissance neo-realistischer Ansätze. Das Sonderheft „Der russische Krieg in der Ukraine und die Internationalen Beziehungen“ beleuchtet in vier Themenblöcken die Herausforderungen für die deutsche IB, wie diese Einleitung erläutert: für ihre Theoriebestände; für die Trennung bzw. Verschränkung der institutionalisierten Friedens- und Konfliktforschung und Sicherheitsforschung; für den Umgang mit der starken Nachfrage nach „IB“-Expertise in Politik und Medien. Beiträge aus der Ukraine und dem Globalen Süden akzentuieren schließlich eine Kritik an der Wissensproduktion und Theoretisierung im deutschen bzw. westlichen IB-Diskurs im Kontext des russischen Kriegs gegen die Ukraine.

Das Verhältnis von Friedensforschung und Sicherheitsforschung hat sich gewandelt. Dabei ist die begriffliche Trennung unscharf. Friedensforschung kann in kritische Friedensforschung und Friedens- und Konfliktforschung unterteilt werden, während Sicherheitsforschung wiederum in sicherheitspolitische Forschung und Strategische Studien zerfällt. Kern unserer Argumentation ist, dass sich Friedens- und Konfliktforschung und sicherheitspolitische Forschung in den letzten vierzig Jahren weitgehend verschränkt haben. Im Zuge des russischen Kriegs gegen die Ukraine wird von einigen Vertreter*innen der kritischen Friedensforschung einerseits und der Strategischen Studien andererseits versucht, die konzeptionelle Trennung von Frieden und Sicherheit neu zu akzentuieren und den ideologischen Unterschied zwischen Friedens- und Sicherheitsforschung zu betonen. Im Beitrag wird argumentiert, dass dadurch wichtige konzeptionelle Entwicklungen geleugnet, akademische Professionalisierung rückgängig gemacht und zentrale Forschungsergebnisse vernachlässigt würden. Das bedeutet nicht, dass Frieden und Sicherheit identisch sind und es nicht unterschiedliche Fragestellungen gäbe, die einerseits nach den langfristigeren Perspektiven einer friedlicheren Welt und andererseits nach den kurzfristigeren Zielen einer sichereren Umwelt fragen würden.

The Russian war against Ukraine has already had crucial implications for the future of liberal interventionism. Drawing on current debates in IR about the transformation of the global world order, the article outlines how processes of global reordering affect (liberal) interventionism at different scales. The article argues that what has become known as the liberal international order is in retreat, at the expense of liberal peace-oriented international interventions. At the same time, current geopolitical realignments appear to be dividing the world into new spheres of influence, pitting democracies against autocracies at the global level and within regional conflicts. However, when it comes to security interventions and peacekeeping, the emerging realities on the ground, where a growing number of actors with different agendas interact, are more complex than simplistic world-order narratives suggest. Using the cases of international peacekeeping and security assistance as examples, the article shows that in some current international intervention sites, the emerging “multi-order world” is characterised by complicated constellations of parallel external assistance offers and rapid shifts in allegiances that do not necessarily follow clear divisions between “authoritarian” and “liberal” forms of assistance. The article therefore does not confirm expectations of the emergence of a “new Cold War” and a new round of ideological competition between international systems.

Die Außen- und Sicherheitspolitik ist notorisch bürgerfern. Staatliche Eliten schirmen den Politikbereich unter Verweis auf seine Sensibilität und Komplexität ab; Bürger*innen selbst lassen sich auf diesem Feld kaum mobilisieren oder zur gewünschten Wahlentscheidung locken. In der deutschen Außenpolitik gibt es zudem eine seit vielen Jahren festgestellte, oft beanstandete, aber erst seit Kurzem aktiv bearbeitete Diskrepanz zwischen den Präferenzen der Bürger*innen einerseits und außenpolitischer Eliten in Deutschland und Partnerstaaten andererseits. Im vorliegenden Beitrag diskutieren wir Bemühungen zur Überbrückung dieser Kluft und fragen nach ihrem friedenspolitischen Potenzial.